derMac hat geschrieben:
Also ich bin frustriert, wenn man mich verurteilt, obwohl ich mich guten Gewissens im Recht nach Gesetzestext finde.
Ist doch aber an der Tagesordnung, dass das so klar nicht läuft. Siehe z.B. unsere lange Diskussion zum Urheberrecht.
Die Gerichte entscheiden z.T. entgegen der Rechtslage und reichlich unvorhersagbar. Das geht Kraut und Rüben bei ständiger Verunsicherung. Erst nach einer gewissen Zeit des Durcheinanders konvergiert die Rechtsprechung (hoffentlich) gegen halbwegs einheitlich und vorhersehbare Ergebnisse.
Ähnlich war das z.B. auch bei Inline Skaten auf dem Fahrweg versus Bürgersteig. Uvm.
Und jetzt ist u.a. wieder aktuell die Helmfrage, da entscheiden ja auch einige Richter sehr merkwürdig.
Der Unterschied ist, das man bei unscharfen Gesetzten auf den Richter sauer ist und bei scharfen auf den Gesetzgeber. Ich finde es unfair vom Gesetzgeber,das Problem zu verlagern, die Gesetzgebung ist seine Aufgabe.
Ich würde das so sehen: jede Regel bzw. Definition hat intentionalen und extentionalen Anteil(siehe auch Wikipedia
dazu). Der Gesetzgeber muss mehr intentional festlegen. Die Richter schmücken das aus anhand von Fällen und exemplarischen Entscheidungen, das klärt das dann im Laufe der Zeit zunehmend extentional.
Es gelingt aber üblicherweise nicht, alle möglichen Fälle im Vorfeld abzudecken.
Das ganze ist ein grundsätzliches Problem der Begrenztheit von Definitionen.
Du möchtest eine unendliche Menge (mögliche Fälle) durch endliche viel Code (Regeln/Gesetze/Fallbeispiele) beschreiben (also entscheidbar machen).
Das kann man auch ähnlich einem Kompressionsproblem aus der Informationstheorie betrachten.
Es wird dabei immer Fälle geben, die anhand der begrenzten Codierung nicht eindeutig zuordenbar ist.
Da müssen dann die Richter anhand der intentionalen Beschreibung eine Entscheidung treffen. Dazu ist das generelle Ziel maßgeblich, sowie das individuelle Kontextwissen der Richter, was auch stark vom Zeitgeist abhängen kann. Das ist zum Zeitpunkt der Gesetzgebung kaum vorhersehbar, wie das zu geschehen hat. Z.B. Neuerungen durch Internet-Technik im Zusammenhang mit dem Urheberrecht.
derMac hat geschrieben:Wie willst du ein Gesetz, dessen Ziel nicht klar ist, am Gemeinwohl messen?
Ziel jeden Gesetzes, an dem es sich messen lassen muss, ist das Gemeinwohl.
Wie man das Gemeinwohl geeignet messen kann, ist natürlich schwierige Frage. Da könnte es diverse mehr oder minder taugliche Ansätze geben.
Jedenfalls ist das der prinzipielle Ansatz, würde das als axiomatische Definition des Zieles eines Rechtssystems sehen, konkrete Umsetzung bleibt dabei erstmal unklar.
derMac hat geschrieben:Gesetze funktionieren nicht um so besser, je unschärfer sie sind. Ich denke, eher das Gegenteil ist der Fall.
das hab ich so nicht gesagt. Manche Gesetze profitieren aber von ihrer Unschärfe, z.B. in dem Sinne, dass sie sich sonst selbst ad absurdum führen würden oder auch, weil jeder Versuch einer Schärfung zu Unfug führen würde, da man das oft nur fallweise entscheiden kann.
Vor allem sind Gesetzeswerke oft durchzogen von Fehlern, in dem Sinne, dass sie suboptimal sind oder von falschen Kausalzusammenhängen ausgehen und das eigentliche Ziel (Gemeinwohl) krass verfehlen. Gerade dann ist Klarheit der Gesetze sehr problematisch.
Toll wäre es, wenn Gesetzeswerke nahezu fehlerfei (und dann auch schön klar) wären. Das gelingt aber eben nicht so leicht und ist bislang weitab der Realität.
Z.B. hatten wir mal Gesetze zur Diskriminierung von Homosexualität oder anderer Minderheiten. Im Detail wimmelt es in Gesetzeswerken aber von Unsinnigem und Gefährlichem.
Das letzterer Fall die Lebensqualität mehr einschränken soll als ersterer kann ich aber nicht nachvollziehen. Mit dem Durchsetzen hat das erstmal nichts zu tun. Man muss auch scharf formulierte Gesetze nicht zwingend aktiv durchsetzen. Man könnte aber. Ein gar nicht durchsetzbares Gesetz erhöht von niemandem die Lebensqualität weil man die Wahl hat, entweder "unschuldig" eine auf den Deckel zu bekommen oder sich im vorauseilenden Gehorsam übervorsichtig zu benehmen. Beides ist nicht gut.
Ich würde sagen für sowas gibt es zahlreiche Fälle. Z.B. Abstandsgebot beim Überholen von Fahrrädern. Hält sich niemand dran. Und wäre wohl auch gar nicht praktikabel bzw. druchsetzbar.
Oder nimm die (neue) Verordnungen zum Fahrradlicht. Da ist einiges reichlich unklar. Zum Glück wird das aber gar nicht durchgesetzt (was auch gar nicht praktikabel oder sinnvoll wäre).