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Re: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 11:04 am
von Pibach
derMac hat geschrieben: Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass du hier nahezu der einzige bist, der von "Schuld" redet.
Nenn es anders. Es geht darum, dass man den Unfallhergang interpretiert, um einen "Verursacher" festzustellen. Das "statistisch eingebrachte Risiko" kann man aber auf diese Weise nicht ermitteln. Egal ob die Kategorisierung von der Polizei stammt, einem Gericht, mehr oder minder fehlerhaft oder "wahrheitsgemäß" (das existier sowieso nicht) vorgenommen wird.
Ich würde dein Experiment mal erweitern...
Man misst mit dem Experiment die üblichen Systembedingungen. Da hat der Matador eben ein rotes Tuch usw.
Die Systembedingungen werden zwar nicht näher betrachtet, aber auch nicht in dem Sinne vernachlässigt, dass es davon unabhängig wäre. Natürlich hängt das Ergebnis davon entscheidend ab, genau darum geht es ja. Der Witz von Statistiken ist, dass man sich die Zusammenhänge in dem zu vermessenden System gar nicht anzuschauen braucht, man ermittelt lediglich die Beobachtungsgrößen. Und kann die dann nutzen, um bestimmte Modelle über das System zu überprüfen.
Nach deiner Messung wäre nämlich bei einem Unfall zwischen Auto und Radfahrer mit getötetem Radfahrer das Risiko, dass der Radfahrer einbringt genau so hoch wie das Risiko, dass der Autofahrer einbringt.
Ne. Es geht bei dem eingebrachten Risiko um das Risiko für andere. D.h. wenn der Radfahrer stirbt bei einer Kollision mit einem Auto, zählt dieser Unfall für das eingebrachte Risiko des Autos, und zwar egal, was da passiert ist. Genaugenommen dürfte man noch nicht mal wissen, ob das Auto überhaupt "beteiligt" war, denn das ist bereits eine u.U. fehlerbehaftete Interpretation. Man würde dann das Risiko eines Verkehrsteilnehmerkilometers (innerhalb eines Verkehrssystems), gegeben die Zahl und Verhältnisse der Gesamt-Teilnehmerkilometer bestimmen. Das ginge auch, dann bräuchte man aber eine wesentlich größere Stichprobe.
Was du dann später beschreibst ist der Vergleich zwischen verschiedenen Verhältnissen von Fahrrädern und Autos (das ist was anderes als dein Matadorbsp.). Also etwa wenn das Gesamtrisiko bei 80% Auto zu 20% Fahrrad höher ist als bei 60% Auto zu 40% Fahrrad, dann muss das vom Auto eingebrachte Risiko größer sein. Das ist soweit ok (und recht banal), das wird hier auch sicher keiner bestreiten.
Allerdings lässte das noch keine wirkliche Aussage über das wirkliche durchs Auto eingebrachte Risiko.
Also wenn 2 Personen 1 Hähnchen gegessen haben, dann hat nicht unbedingt jeder "wirklich" ein halbes Hähnchen gegessen, sondern nur statistisch ;)
So ist das auch hier. Das bestimmt das Risiko, dass der Teilnehmer statistisch einbringt. Es geht dabei lediglich darum, den Risiko-Deltabeitrag des einzelnen Teilnehmers zu quantifizieren. Der variiert natürlich enorm je nach Ausstattung und Verhalten des Teilnehmers, darum geht es aber bei Statistiken genau nicht. Möglicherweise ist der Beitrag auch nicht konstant bei Änderung der Teilnehmerverhältnisse, abschnittsweise kann man das aber wohl annehmen.
Noch mal anders betrachtet: Auf Autobahen bringen Autos nur ein sehr viel geringeres Risiko ein als in Städten und dort nochmal ein geringers als auf Landstraßen. Auch hier versteht man das nur, wenn man nicht einfach Statistiken ohne Berücksichtigung von Ursachen macht.
Um das "Verstehen" geht es bei Statistiken zunächst nicht. Man erhebt da nur Beobachtungsgrößen. Und da funktionieren Statistiken recht gut und bringen die Unterschiede zw. Autobahn und Stadtverkehr ja deutlich raus. "Verständnis" entsteht vielleicht dann, wenn man das mit Werten vergleicht, die aufgrund bestimmter Modellierung rauskommen sollten. Für die Modellierung hilft eine gewisse Kenntnis der Systemzusammenhänge. Aber auch da kann man u.U. geeignet abstrahieren, so das viele Systemdetails nicht näher analysiert werden. Man könnte hier z.B. ein Modell entwerfen, in das lediglich Geschwindigkeiten und Kreuzungsstellen eingehen.
Oder noch anders: Wenn Fahrradfahrer nur noch auf vom Autoverkehr strikt getrennten Radwegen fahren und an Kreuzungspunkten nie Vorfahrt haben und sich ganz diszipliniert daran halten, ist plötzlich das vom Auto eingebrachte Risiko sehr viel gringer, obwohl sich weder an den Autos noch am Verhalten der Autofahrer etwas geändert hat.
Genau so ist es. Man bewertet dabei auch nicht das einzelne Auto (oder den Stier) sondern das Gesamtsystem. Wenn da niemand mehr stirbt ist das Sterberisiko eben Null. Und es hat dann auch keiner einen Risikoanteil eingebracht. Ganz simpel.

Re: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 11:28 am
von Pibach
derMac hat geschrieben:...das ist was anderes als dein Matadorbsp
Jein. Es ist etwas komplexer. Lässt sich aber runterbrechen, so dass es analog geht.
Z.B. nimm einfach an, dass sämtliche anderen Vekehrsteilnehmer zum zu untersuchenden System gehören. Dann könntest Du das statistische eingebrachte Risiko eines weiteren Verkehrsteilnehmers, z.B. eines typischen Autos, ermitteln, indem Du das Experiment mit Stichproben aus der Grundgesamtheit der "typischen" Autos immer wieder unter den selben Systembedingungen wiederholst und die Unfälle zählst. Natürlich ist das in der Praxis nicht durchführbar, zeigt aber die Analogie.

Ansonsten nimmt man einfach mehrere Unbekannte, also jeweils für jede typische Fahrzeugart dessen statistischen Risikobeitrag, und macht entsprechend eine mehrdimensionale Regressionsanalyse auf Basis der verfügbaren Stichproben.

Re: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 12:32 pm
von derMac
Pibach hat geschrieben:
derMac hat geschrieben: Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass du hier nahezu der einzige bist, der von "Schuld" redet.
Nenn es anders. Es geht darum, dass man den Unfallhergang interpretiert, um einen "Verursacher" festzustellen. Das "eingebrachte Risiko" kann man aber auf diese Weise nicht ermitteln. Egal ob die Kategorisierung von der Polizei stammt, einem Gericht, mehr oder minder fehlerhaft oder "wahrheitsgemäß" (das existier sowieso nicht) vorgenommen wird.
Außer dir hat das auch niemand damit ermitteln wollen, dazu sind die Daten nicht vorgesehen. Jetzt zu behaupten, sie würden etwas verfälschen, wozu sie gar nicht erhoben werden, ist aber nicht sehr sinnvoll.
Ich würde dein Experiment mal erweitern...
Man misst mit dem Experiment die üblichen Systembedingungen. Da hat der Matador eben ein rotes Tuch usw.
Die Systembedingungen werden zwar nicht näher betrachtet, aber auch nicht in dem Sinne vernachlässigt, dass es davon unabhängig wäre. Natürlich hängt das davon entscheidend ab, genau darum geht es ja. Der Witz von Statistiken ist, dass man sich die Zusammenhänge in dem zu vermessenden System gar nicht anzuschauen braucht, man ermittelt lediglich die Beobachtungsgrößen. Und kann die dann nutzen, um bestimmte Modelle über das System zu überprüfen.
Ok, ich sage jetzt, die üblichen Systembedingungen wären, dass da ein Stier steht. Und jetzt variiere ich das Verhalten des Matadors, um das durch ihn eingebrachte Risiko zu bestimmen. Wir können uns aber gern darauf einigen, dass ein Matadorbsp. einfach nicht als Erklärung für deinen Ansatz taugt. ;) Anders ausgedrückt: Wenn ich in einen völlig Fahrradfreien Autoverkehr plötlich Fahrräder einbringe, bringen ab dem Moment wenn die Unfallzahlen steigen die Autos einen höheren Risikoanteil ein oder die Fahrräder? Auch wenn wir uns einig sind, dass das Auto das gefährlichere Fahrzeug ist, ist diese Frage nicht formal eindeutig zu entscheiden.
Nach deiner Messung wäre nämlich bei einem Unfall zwischen Auto und Radfahrer mit getötetem Radfahrer das Risiko, dass der Radfahrer einbringt genau so hoch wie das Risiko, dass der Autofahrer einbringt.
Ne. Es geht bei dem eingebrachten Risiko um das Risiko für andere. D.h. wenn der Radfahrer stirbt bei einer Kollision mit einem Auto, zählt dieser Unfall für das eingebrachte Risiko des Autos, und zwar egal, was da passiert ist. Genaugenommen dürfte man noch nicht mal wissen, ob das Auto überhaupt "beteiligt" war, denn das ist bereits eine u.U. fehlerbehaftete Interpretation. Man würde dann das Risiko eines Verkehrsteilnehmerkilometers (innerhalb eines Verkehrssystems), gegeben die Zahl und Verhältnisse der Gesamt-Teilnehmerkilometer bestimmen. Das ginge auch, dann bräuchte man aber eine wesentlich größere Stichprobe.
Dann wäre die Vorstellung, dass alle auf der Autobahn (mit sagen wir mal Höchstgeschwindigkeit 100) fahren und es keine Radfahrer und Fußgänger gibt ja schon recht nah am Idealsystem. ;) Das durch Autofahrer eingebrachte Risiko wäre sehr gering, das durch Radfahrer und Fußgänger eingebrachte wäre 0. Davon abgesehen bringt ein gegen einen Baum fahrender Autofahrer in dein System gar kein Risiko ein, weil er ja keinem anderen Schadet. Selbstgefärdung wäre also kein eingebrachtes Risiko. In deinem 2. Ansatz, wo man die Beteiligung des Autos gar nicht berücksichtigt sondern nur die Zahl der Geschädigten aber schon. In diesem 2. Ansatz steigt der Risikoeintrag von Radfahrern in Berlin aber dann eben auch, wenn mehr Radfahrer erstmal zu mehr Unfällen führen. Also welcher Ansatz soll jetzt diskutiert werden? Ich dachte ja bisher, es ginge dir um den 2. Ansatz (siehe auch folgender Text). Dann passt das Matadorbsp. aber IMO nicht.
Was du dann später beschreibst ist der Vergleich zwischen verschiedenen Verhältnissen von Fahrrädern und Autos (das ist was anderes als dein Matadorbsp.). Also etwa wenn das Gesamtrisiko bei 80% Auto zu 20% Fahrrad höher ist als bei 60% Auto zu 40% Fahrrad, dann muss das vom Auto eingebrachte Risiko größer sein. Das ist soweit ok (und recht banal), das wird hier auch sicher keiner bestreiten.
Allerdings lässte das noch keine wirkliche Aussage über das wirkliche durchs Auto eingebrachte Risiko.
Also wenn 2 Personen 1 Hähnchen gegessen haben, dann hat nicht unbedingt jeder "wirklich" ein halbes Hähnchen gegessen, sondern nur statistisch ;)
So ist das auch hier. Das bestimmt das Risiko, dass der Teilnehmer statistisch einbringt. Es geht dabei lediglich darum, den Risiko-Deltabeitrag des einzelnen Teilnehmers zu quantifizieren. Der variiert natürlich enorm je nach Ausstattung und Verhalten des Teilnehmers, darum geht es aber bei Statistiken genau nicht. Möglicherweise ist der Beitrag auch nicht konstant bei Änderung der Teilnehmerverhältnisse, abschnittsweise kann man das aber wohl annehmen.
Ich hab nirgends was von einzelnen Teilnehmern geschrieben. Und natürlich ist der Beitrag nicht konstant bei Änderung der Teilnehmer- oder allgemeiner Systemverhältnisse, sonst würde ich das ganze hier ja nicht schreiben. Du bekommst also ein durch das Auto eingebrachtes Risiko für genau einen Systemschnappschuss. Das ist formell korrekt, aber nicht sehr hilfreich.
Noch mal anders betrachtet: Auf Autobahen bringen Autos nur ein sehr viel geringeres Risiko ein als in Städten und dort nochmal ein geringers als auf Landstraßen. Auch hier versteht man das nur, wenn man nicht einfach Statistiken ohne Berücksichtigung von Ursachen macht.
Um das "Verstehen" geht es bei Statistiken zunächst nicht. Man erhebt da nur Beobachtungsgrößen. Und da funktionieren Statistiken recht gut und bringen die Unterschiede zw. Autobahn und Stadtverkehr ja deutlich raus. "Verständnis" entsteht vielleicht dann, wenn man das mit Werten vergleicht, die aufgrund bestimmter Modellierung rauskommen sollten. Für die Modellierung hilft eine gewisse Kenntnis der Systemzusammenhänge. Aber auch da kann man u.U. geeignet abstrahieren, so das viele Systemdetails nicht näher analysiert werden. Man könnte hier z.B. ein Modell entwerfen, in das lediglich Geschwindigkeiten und Kreuzungsstellen eingehen.
Ich wollte damit sagen, dass man nicht ein Modell über alles machen kann sondern ein Modell für Autobahnen, eins für Städte usw. braucht. Und dann braucht man noch ein Modell für jede Stadt, in Berlin wahrscheinlich sogar für verschiedene Stadtteile, eben weil es kein allgemeingültiges, durch Autos eingebrachtes Risiko gibt.
Oder noch anders: Wenn Fahrradfahrer nur noch auf vom Autoverkehr strikt getrennten Radwegen fahren und an Kreuzungspunkten nie Vorfahrt haben und sich ganz diszipliniert daran halten, ist plötzlich das vom Auto eingebrachte Risiko sehr viel gringer, obwohl sich weder an den Autos noch am Verhalten der Autofahrer etwas geändert hat.
Genau so ist es. Man bewertet dabei auch nicht das einzelne Auto (oder den Stier) sondern das Gesamtsystem. Wenn da niemand mehr stirbt ist das Sterberisiko eben Null. Und es hat dann auch keiner einen Risikoanteil eingebracht. Ganz simpel.
[/quote]
Jetzt kommt der spannende Teil. Wenn das einbringen des Risikos gar nicht vom Verkehrsteilnehmer (nicht dem Einzelnen sondern der jeweiligen Gruppe) abhängt, sondern vom Gesamtsystem, ist es dann sinnvoll, dieses Risiko auszurechnen? Ab dieser Erkenntnis kann man nämlich nur noch das System betrachten. Und da wären wir unter anderem bei der Frage, wie man Unfälle vermeiden kann. ;) Aber natürlich ist auch die Frage berechtigt, Änderungen in der Zusammensetzung der Verkehrsteilnehmer positive Auswirkungen haben. Dafür muss man aber gar nicht das konkret durch irgendwen eingebrachte Risiko genau ausrechnen. Dass allein durch die Existenz von Autos ein besonderes Risiko besteht hat übrigens dazu geführt, dass es eine Haftpflichtversicherung für KFZ-Halter gibt, da dürfte also formell Konsens bestehen.

Mac

Re: AW: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 12:39 pm
von Pibach
berlinonaut hat geschrieben: - knapp 50% der polizeilich erfassten Unfälle mit Radbeteiliugung werden vom Radfahrer verursacht -> Radfahrer sind - auf Basis der geltendes StVo nicht durchgängig unschuldige Opfer
Ich beziehe das noch mal auf Stiere, vielleicht wird das dann deutlicher. Stell Dir mal vor, man würde - statt Autos - eben Stiere in den Verkehrsraum einleiten. Und die Verkehrsregeln (oder die Fehlerträchtigkeit der Erfassungsbehörde) so definieren, dass der Stier nie "Verursacher" wäre. Das ist noch nicht mal hypothetisch, sondern regelmäßig Brauch bei den Stiertreiben in Spanien.

Die Verkehrsteilnehmer würden offensichtlich einem erheblich höheren Verkehrsrisiko gegenüberstehen. Obwohl sie durchgängig bei den Unfällen mit Stieren die "Verursacher" wären, wenn man das polizeilich erfassen würde. Das zeigt sehr schön die Absurdität dieser Vorgehensweise.

Re: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 1:15 pm
von Pibach
derMac hat geschrieben: Außer dir hat das auch niemand damit ermitteln wollen, dazu sind die Daten nicht vorgesehen.
Doch. Es wird ständig in den verlinkten Publiktionen der Polizei oder des ADAC so argumentiert. Und auch von Berlinaut, s. vorherigen zitierten Beitrag.
Ok, ich sage jetzt, die üblichen Systembedingungen wären, dass da ein Stier steht. Und jetzt variiere ich das Verhalten des Matadors, um das durch ihn eingebrachte Risiko zu bestimmen.
Na klar, das ist völlig legitim. Ich geh mal davon aus, dass der Kampf i.d.R. für den Stier tödlich endet, der Matador bringt also extrem hohes Risiko ein.
bringen ab dem Moment wenn die Unfallzahlen steigen die Autos einen höheren Risikoanteil ein oder die Fahrräder? Auch wenn wir uns einig sind, dass das Auto das gefährlichere Fahrzeug ist, ist diese Frage nicht formal eindeutig zu entscheiden.
Das hab ich doch schon benannt, dass es nicht konstant ist, wenn sich die Bedingungen stark ändern, aber abschnittsweise passt das (genähert). Wenn man bei der Zahl der Teilnehmer von 0 auf 1 geht ist der Fehler halt groß, weil man die Systembedingungen stark verändert. Dieser extreme Fall interessiert aber auch gar nicht. Außerdem muss man bei einer mehrdimensionalen Regression immer viele Stichprobenwerte haben, sonst ist das unterbestimmt.
Dann wäre die Vorstellung, dass alle auf der Autobahn (mit sagen wir mal Höchstgeschwindigkeit 100) fahren und es keine Radfahrer und Fußgänger gibt ja schon recht nah am Idealsystem. ;) Das durch Autofahrer eingebrachte Risiko wäre sehr gering,
Genau. Zumindest bezogen auf das eingebrachte Risiko der Autos. Wobei man über das Risiko von Radfahrern da keine Aussage treffen kann, wenn dazu keine Stichproben vorliegen.
Davon abgesehen bringt ein gegen einen Baum fahrender Autofahrer in dein System gar kein Risiko ein, weil er ja keinem anderen Schadet. Selbstgefärdung wäre also kein eingebrachtes Risiko.
Genau. Und ist auch sinnvoll so. Das Risiko für einen weiteren Verkehrsteilnehmer wäre identisch in dem System, ob da jetzt ständig Autos gegen Bäume rasen oder nicht hat auf den ja keinen Einfluss.
In deinem 2. Ansatz, ...
Verstehe hier Deinen Punkt nicht und finde das Beispiel Stierkampf passt recht gut. So ein Kampf kann ja durchaus auch mit mehreren Stieren und Matadoren gleichzeitig stattfinden.
Du bekommst also ein durch das Auto eingebrachtes Risiko für genau einen Systemschnappschuss.
Genau. Hilfreich ist das dann, wenn man annehmen kann, dass viele Schnappschüsse zusammen repräsentativ sind. Am aussagekräftigsten wird es, wenn die Bedingungen dabei nicht zu stark variieren. Daher macht es auch Sinn, sehr unterschiedliche Systeme (Stadt versus Autobahn) getrennt zu untersuchen. Und wenn sich das ungefähr abschnittsweise konstant verhält, kann man sogar linear extrapolieren.
Ich wollte damit sagen, dass man nicht ein Modell über alles machen kann sondern ein Modell für Autobahnen, eins für Städte usw. braucht. Und dann braucht man noch ein Modell für jede Stadt, in Berlin wahrscheinlich sogar für verschiedene Stadtteile, eben weil es kein allgemeingültiges, durch Autos eingebrachtes Risiko gibt.
Da bin ich völlig d'accord.
Wobei man das schon auch zusammenfassen kann, die Aussagekraft wird dann aber recht begrenzt sein.
Das zeigt sich in der Regressionsanalyse aber, also wie dicht da die Stichproben an der Regressionskurve liegen.
Jetzt kommt der spannende Teil. Wenn das einbringen des Risikos gar nicht vom Verkehrsteilnehmer (nicht dem Einzelnen sondern der jeweiligen Gruppe) abhängt, sondern vom Gesamtsystem, ist es dann sinnvoll, dieses Risiko auszurechnen?
Das hängt selbstverständlich vom Teilnehmer (innerhalb des Systems) ab. Siehe Stier versus Kuh. Ist doch offensichtlich.
Dafür muss man aber gar nicht das konkret durch irgendwen eingebrachte Risiko genau ausrechnen.
Das braucht man nur, wenn man extrapolieren möchte, was schon relevant ist, wenn einen der Extrapolationsbereich interessiert und man ansonsten dazu keine Stichproben ermitteln kann. Also z.B. ein hypotetisches Berlin mit 10:1 Radfahr- versus KFZ-Anteil.
Dass allein durch die Existenz von Autos ein besonderes Risiko besteht hat übrigens dazu geführt, dass es eine Haftpflichtversicherung für KFZ-Halter gibt, da dürfte also formell Konsens bestehen.
Da werden aber dummer Weise riskantere Autos durch die Allgemeinheit subventioniert. Karsten hatte darauf schon mal im Detail aufmerksam gemacht.

Re: AW: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 1:20 pm
von derMac
Pibach hat geschrieben:Ich beziehe das noch mal auf Stiere, vielleicht wird das dann deutlicher. Stell Dir mal vor, man würde - statt Autos - eben Stiere in den Verkehrsraum einleiten. Und die Verkehrsregeln (oder die Fehlerträchtigkeit der Erfassungsbehörde) so definieren, dass der Stier nie "Verursacher" wäre. Das ist noch nicht mal hypothetisch, sondern regelmäßig Brauch bei den Stiertreiben in Spanien.

Die Verkehrsteilnehmer würden offensichtlich einem erheblich höheren Verkehrsrisiko gegenüberstehen. Obwohl sie durchgängig bei den Unfällen mit Stieren die "Verursacher" wären, wenn man das polizeilich erfassen würde. Das zeigt sehr schön die Absurdität dieser Vorgehensweise.
Nein, sie ist nicht absurd, sie ist einfach eine Teilbetrachtung die nicht das Gesamtbild zeigt. Erstmal ist es sinnvoll, zwischen Unfallentstehung und Folgen zu unterscheiden. Bei der Untersuchung der Entstehung muss muss man über das hinausgehen, was bisher (meist) geschieht, nämlich dass man einen Verursacher sucht und die Sache damit abhakt. So ein Unfall viele Ursachenketten. Aber die bei jedem Unfall aufdröseln kann keinen leisten obwohl es sehr hilfreich wäre. Aber diesen Teil hast du ja gar nicht kritisiert. Trotzdem ist diese Betrachtungsweise nicht absurd. Wenn satt Autos Fahrräder zusammenstoßen reduzieren sich zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit die Folgen (was ein Fortschritt wäre), aber noch nicht die Zahl der Unfälle.

Die andere Frage ist, was welchen Einfluss auf die Unfallfolgen hat. Da kann man dann praktisch sicher sagen, dass mit Autobeteiligung die Folgen statistisch dramatischer werden. Das ist deine Betrachtungsweise (obwohl du hier immer nur auf die Verletzten abziehlst, die Zahl der Sachschadenunfälle ist viel größer und auch die möchte man nicht). Diese Sichtweise ist genau so sinnvoll, aber auch nicht die einzig glücklich machende. Will man signifikant was ändern, sollte man beides angehen. Insofern ist deine Kritik berechtigt. Dass die Untersuchung der Unfallursachen absurd wäre ist aber IMO Quatsch.

Mac

Re: AW: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 1:26 pm
von berlinonaut
Pibach hat geschrieben:
berlinonaut hat geschrieben: - knapp 50% der polizeilich erfassten Unfälle mit Radbeteiliugung werden vom Radfahrer verursacht -> Radfahrer sind - auf Basis der geltendes StVo nicht durchgängig unschuldige Opfer
Ich beziehe das noch mal auf Stiere, vielleicht wird das dann deutlicher. Stell Dir mal vor, man würde - statt Autos - eben Stiere in den Verkehrsraum einleiten. Und die Verkehrsregeln (oder die Fehlerträchtigkeit der Erfassungsbehörde) so definieren, dass der Stier nie "Verursacher" wäre. Das ist noch nicht mal hypothetisch, sondern regelmäßig Brauch bei den Stiertreiben in Spanien.
... was aber daran liegt, dass man dem Stier die Intelligenz einer Amöbe zubilligt - sprich, dass er keinerlei Einsichtsfähigkeit und Intelligenz hat, um Unfälle zu vermeiden. Wenn man das bei Radfahrern machen will kann man das machen, dann sind wir halt wieder beim Reservat in Mecklenburg Vorpommern und dem gesetzlichen Vormund für Radfahrer.

Re: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 1:32 pm
von derMac
Pibach hat geschrieben:Verstehe hier Deinen Punkt nicht und finde das Beispiel Stierkampf passt recht gut. So ein Kampf kann ja durchaus auch mit mehreren Stieren und Matadoren gleichzeitig stattfinden.
Mein Punkt ist, dass du einmal mit Eigengefährdung rechnest (Betrachtung der Gesamtteilnehmerzahlen und Gesamtfolgen) und einmal ohne Eigengefährdung (nur Fremdfolgen) und dich nicht entscheiden kannst, welches Modell du nun verwenden willst. Das Stierkampfmodell ist nur Fremdfolgen. In meinem Stierkampfmodell bringt auch der Matador Risiko ein, nämlich für sich selbst. Je nach Betrachtungsweise ändert sich das eingebrachte Risiko. Wenn du sagst, bei einem Unfall zwischen Radfahrer und Auto liegt das eingebrachte Verletzungsrisiko praktisch immer auf Seiten des Autofahrers, weil ja nur die Verletzung anderer zählt, kommt etwas anderes raus als wenn du zulässt, dass bei diesem Unfall beide ein Risiko einbringen (auch wenn nur der eine verletzt wird). Darauf läuft es nämlich hinaus, wenn du nur die Gesamtfolgen in Zusammenhang zum Anteil der Verkehrsteilnehmerarten setzt (also ganz ohne Betrachtung der einzelnen Unfälle). Im zweiten Fall bringt auch der Radfahrer ein Risiko ein (druch sein Verhalten), auch wenn er bei der Folgenabschätzung immer noch deutlich besser wegkommen wird als der Autofahrer.

Mac

Re: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 1:46 pm
von derMac
Pibach hat geschrieben:
derMac hat geschrieben: Außer dir hat das auch niemand damit ermitteln wollen, dazu sind die Daten nicht vorgesehen.
Doch. Es wird ständig in den verlinkten Publiktionen der Polizei oder des ADAC so argumentiert. Und auch von Berlinaut, s. vorherigen zitierten Beitrag.
Nein, Berlinonaut schreibt von verursacht, das ist einfach eine andere Betrachtungsweise als die Betrachtung der Folgen. Du betrachtest nur die Folgen. Daraus, dass Unfälle mit Autos oft folgenschwerer sind, folgt nicht, dass sie mehr Unfälle verursachen. Die Zahl der Unfälle und ihre Folgen stehen in keinem festen Zusammenhang. Du hast einfach eine merkwürdige Definition des Begriffes Ursache.

Mac

Re: Promillegrenze für Radfahrer

Verfasst: Fr Aug 29, 2014 3:03 pm
von Pibach
derMac hat geschrieben: Nein, Berlinonaut schreibt von verursacht, das ist einfach eine andere Betrachtungsweise als die Betrachtung der Folgen. Du betrachtest nur die Folgen. Daraus, dass Unfälle mit Autos oft folgenschwerer sind, folgt nicht, dass sie mehr Unfälle verursachen. Die Zahl der Unfälle und ihre Folgen stehen in keinem festen Zusammenhang. Du hast einfach eine merkwürdige Definition des Begriffes Ursache.
Ich glaub ich hab Dich verwirrt.
Wenn sich z.B. ermitteln lässt, dass wenn weniger Autos fahren auch weniger Personen verunfallen, folgt daraus ganz schlicht, dass Autos irgendwie eben genau die entsprechende Risikodifferenz einbringen. Sie sind also die Ursache. Genauso wie der Stier die Ursache für einen toten Matador ist. Oder siehst Du das anders?
Man könnte das also auch "verursachen" nennen, dieser Begriff ist aber (unglücklicher Weise) bereits durch schuldhafte Verursachung belegt, bzw. führt oft zu Mißverständnissen. Es spielt dabei aber für das erhöhte Risiko keine Rolle, ob dessen Erhöhung konform oder nicht konform mit irgendwelchen Maßstäben von Schuld einher geht. Siehe Stiere im Verkehr.

Selbstverständlich steht das eingebrachte Risiko im Zusammenhang mit den Verhaltensweisen der Teilnehmer. Man kann also sowohl an der Zahlenverhältnissen als auch an den Verhaltensweisen was ändern. Ob das eine oder das andere erfolgsversprechender ist, kann man diskutieren. Das kommt auch stark darauf an, mit welchen Mitteln man auf diese Faktoren einwirken möchte und wie stark das dann tatsachlich wirkt.

Meine Hypothese lautet dabei: Durch Beregelung von Radfahrern reduziert man im wesentlichen nur deren Quote und der daraus resultierend negative Effekt auf die Verkehrssicherheit übersteigt wohl denkbare positive Effekte durch Änderung der Verhaltensweisen bei weitem.
derMac hat geschrieben: Dass die Untersuchung der Unfallursachen absurd wäre ist aber IMO Quatsch.
So formuliert sicher.
Mein "absurd" bezog sich aber darauf, wenn man mit den so ermittelten Verursacherquoten dann dergestalt weiterargumentiert, wie das ja u.a. Die Polizei, der ADAC oder berlinaut macht. Da vernachlässigt man eben völlig, das eingebrachte Risiko.
berlinonaut hat geschrieben: ... was aber daran liegt, dass man dem Stier die Intelligenz einer Amöbe zubilligt ...
Es ist in den Überlegungen völlig unerheblich, ob das eingebrachte Risiko durch Intelligenz oder Blödheit zustande kam oder wie auch immer. Es ist einfach entstanden.

Kannst natürlich an die Intelligenz appellieren, um am Verhalten was zu verändern. Das ist aber eine andere Baustelle.
derMac hat geschrieben: Mein Punkt ist, dass du einmal mit Eigengefährdung rechnest (Betrachtung der Gesamtteilnehmerzahlen und Gesamtfolgen) und einmal ohne Eigengefährdung (nur Fremdfolgen) und dich nicht entscheiden kannst, welches Modell du nun verwenden willst.
Ich glaub da liegt ein Mißverständnis vor.
Wenn Du den eingebrachten statistischen Risikoanteil eines einzelnen Teilnehmers bestimmen möchtest, ist die Fragestellung ja, um wie viel er das Risiko (des Systems) für jeden übrigen Teilnehmer statistisch erhöht. Dafür ist dessen Eigenrisiko unerheblich. Ansonsten würde ich davon ausgehen, dass sich das Unfallrisiko für jeden Teilnehmer ungefähr als "Grundrisiko" des Systems (ganz ohne andere Teilnehmer) plus Summe des zusätzlich durch Teilnehmer eingebrachten Risikos bestimmen lässt. Für alle Teilnehmer zusammen dann die Summe der Einzelrisiken. Da steckt also die Eigenunfallquote im Grundrisiko, wenn man sich ohne Zutun anderer verunfallt.
Soweit alles recht übersichtlich.
...kommt etwas anderes raus als wenn du zulässt, dass bei diesem Unfall beide ein Risiko einbringen
Eben. Und auf diesen Fehler mache ich aufmerksam!

Das Problem ist eben nicht symmetrisch. Siehe auch Mücke-Elefant Witz:
"Tritt der Elefant der Mücke auf den Schwanz, die jault schmerzerfüllt auf, sagt der Elefant 'Tschuldigung', sagt die Mücke, 'macht nix, hätte mir auch passieren können'".

Edit: natürlich Maus, nicht Mücke.