@Weinbergschnecke, ich geh mal Deine Argumente durch, dann wirst Du leicht sehen, dass diese mit "Vernunft" nichts zu tun haben:
Weinbergschnecke hat geschrieben:Leider kann man sich das nicht aussuchen, wann man stürzt. Das kommt eigentlich immer aus heiterem Himmel.
Das übelste Erlebnis hatte ich da im Winter vor drei Jahren als Fußgänger. Vor unserem Haus (Spielstraße) war es durch Vereisung auf Schnee spiegelglatt. Ich zog da mit zwei Eimern Sand zum Streuen los, auch ganz sozial rechts und links von unserem Grundstück.
Als ich fast fertig war, passierte es: Ausgerutscht und nach hinten gefallen. Reflex zum Abstützen funktionierte nicht, weil ich in dem Moment die Eimer trug.
Ganz fieser Aufschlag mit dem Kopf, nur die Mütze dämpfte das minimal.
Ich wollte damit sagen, der Kopf ist bei Stürzen immer stark gefährdet.
Hier muss man sich fragen, zu welchem Grad man von einem Einzelfall auf die generelle Wahrscheinlichkeit schließen kann.
Ob Radfahren überhaupt gefährlich ist? Dabei tatsächlich öfter mal der Kopf betroffen ist?
Nach allem was wir aus vielen Untersuchungen wissen, ist Radfahren ungefährlich. Es ist sogar auf den km gerechnet etwas sicherer als Autofahren, rechnet man das nur für Kurzstrecken ist es sogar viel sicherer. Es ist auch sicherer als zu Fuß gehen. Sogar wenn man das auf die Zeit rechnet.
Außerdem ist das Risiko auf den Kopf zu fallen beim Radfahren recht nierdrig. Und so mit dem Kopf anzuecken, dass der Helm dabei hilft ist schon nahezu ein Geschicklichkeitssport. Die umfangreichen Statistiken dazu zeigen auch erdrückend deutlich, dass der Helm (im Schnitt) hier nicht hilft. Auch nicht bei Kindern. Statdessen scheint es so zu sein, dass er selbst das Unfall- und auch das Verletzungsrisiko erhöht. In praktisch allen Untersuchungen verunfallen Behelmtradler häufiger und schwerer als es ihrem Verkehrsanteil entspricht. Welchen Wirkungsmechanismus man dabei dem Helm zuschreiben muss ist unklar, vermutlich sind Behelmtradler in erster Linie etwas unsicherer.
Auf alle Fälle habe ich mir kürzlich wieder einen neuen Helm gekauft: Jeder Schutzengel dürfte sich über derartige Vernunft freuen. Wer immer volles Risiko im Leben sucht, den erwischt es früher oder später, siehe den Herrn M.Sch….
Entscheidend ist die Summe der Risiken, die man im Leben eingeht für die Wahrscheinlichkeit, dass einem etwas passiert.
Auch beim Radfahren gibt es ein Unfallrisiko, das aber durch die Anzahl der Radfahrer relativiert wird: 2012 knapp 74.776 erfasste verunglückte und 406 getötete Radfahrer. Dazu gibt es sicher eine hohe Dunkelziffer an Stürzen oder Kollisionen mit Hindernissen, die in keiner Statistik auftauchen.
Da ich weiß, auch mich kann es jederzeit mal wieder erwischen, ist ein Helm eben nur konsequent.
Dann müsstest Du "konsequent" gefährliche Tätigkeiten reduzieren und an den Stellen erstmal einen Helm aufsetzen wo es relevant ist.
Das hieße z.B. auch mit Helm im Auto und dergleichen.
Aber mal etwas seriösere Frage: Glaubst Du, eine risikominimierendes Leben würde tatsächlich zu längerer Lebenserwartung führen? Das ist komplex, aber für die meisten Sportarten liegt deren gesundheitsfördernde Wirkung deutlich über ihrer Gefährdung. Auch die Koordination würde leiden. Würde man konsequent alle Risiken vermeiden, hätte man in seinem Leben wohlmöglich so wenig Gefahrenerfahrung und Koordinationsvermögen erworben, dass selbst Alltagsaufgaben zur bedrohlichen Herausforderung würden. Gerade für Kinder ist das eine wichtige Erkenntnis. Denn sonst dürften die z.B. nicht mehr auf die Kinderrutsche (deutlich gefährlicher als Radfahren), ohne Helm schon gar nicht.
Die "Unfälle" der Menschen, die Risiken ausweichen, sind nur weniger spektakulär. Verfettung, Kreislaufprobleme, Osteoporose, Altersdemenz usw. Das sind die um ein Vielfaches gefährlicheren und wahrscheinlicheren Gefahren.
Ansonsten ist auch die Frage, welche Lebensqualität man erreicht. Mir persönlich würde ein risikenminimierendes Leben nicht besonders attraktiv erscheinen.
Zum Skihelm noch: das ist bisher noch nicht wirklich untersucht, aber es scheint sich abzuzeichnen, dass auch beim Skifahren der Helm die Unfallrisiken insgesamt nicht verbessert. Anteil der Kopfverletzungen beim Skifahren stagniert soweit ich gelesen habe, trotz der stark gestiegenen Helmqoten. Finde ich selber sehr überraschend.
Die Todesfälle sind a) ja mal ganz platt statistisch betrachtet nicht besonders relevant, sind halt recht wenige, Radfahren ist nicht lebensgefährlich. Dann ist das i.d.R. multifaktoriell, meist ist nicht nur der Kopf betroffen. Wäre die Frage, wie viele wirklich hätten gerettet werden können, wäre ihr Kopf unversehrt geblieben (aber ansonsten nicht lebensgefährlich verletzt). Dann ist schließlich die Frage, ob der Helm dazu überhaupt geholfen hätte. Da denken viele gleich reflexartig, das sei selbstredend. Interessanter Weise ist dem nicht so. Das ist eine überraschende, aber wichtige Erkenntnis. Es gibt aus vielen Untersuchungen keinen Anhaltspunkt, der irgendwie dafür spräche, dass ein Helm überhaupt etwas bringt im Schnitt. Das trifft insbesondere auch auf Kinder zu! Er verschiebt wohl etwas die Wahrscheinlichkeiten, also Stöße geringer, Unfallgefahr aber höher, dazu mehr Torsions- usw. Verletzungen.
Die Helmpflicht gibt es auch in der EU teilweise (mit Einschränkungen).
Ja, es gibt inzwischen statistisches Material aus dutzenden Ländern. Kein einziges zeigt einen positiven Effekt aus einer Helmpflicht. Überall einheitlich sinkt mit der Helmpflicht die Radfahrerquote, steigt das Verletzungrisiko, ja sogar das Risiko für Kopfverletzungen.
Ich finde es anhand dieser ganzen Zahlen auch ausgesprochen dickfällig, die negativen Effekt zu verdrängen. Die ganzen Wirkweisen und Einflüsse auf das Unfallgeschehen sind nur bedingt analysierbar und die Statistiken lassen Interpretationspielraum. Der Einfluss einer Behelmung auf Unfallwahscheinlichkeiten und Verletzungsschwere ist - unabhängig davon ob nun positiv oder nagativ - aber ziemlich sicher so gering, dass diese ganze Diskussion darum völlig nachranging ist. Aber dass so viele Menschen bei Helmpflicht lieber auf das Radfahren verzichten ist keine Glaubensfrage, sondern aufgrund dieser Daten als Tatsache zu beobachten und sehr bedenklich.
Weinbergschnecke hat geschrieben:Entscheidend ist wohl immer die Geschwindigkeit eines Aufschlages und wie die Bewegungsenergie dabei abgebaut wird.
Hierzu kenne ich keine Untersuchung, aber ich denke gerade mit steigenden Geschwindigkeiten verliert der Helm immer mehr seine (erhoffte) Funktion (bzw. wird selbst zur Gefährdungsursache). a) wird schnell das Beschleunigungsmaximum überschritten, bei dem der Helm überhaupt nützen kann, b) je schneller desto Faceplant, wage ich mal zu behaupten, auf den Hinterkopf bzw. auf geschützte Kopfteile zu fallen wird mit wachsender Geschwindigkeit immer schwieriger, c) je schneller man ist, desto wichtiger ist es, sich abzurollen bzw, dem Hindernis ausweichen zu können, dabei behindert ein Helm. D.h. Kopf einziehen, wegziehen, über die Schulter kugeln geht dann nicht mehr wirklich. Selbst eine glatte Asphaltstrecke wird dann lebensgefährlich, wenn man sich nicht abrollen kann. Komischer Weise gibt es kaum Stimmen, die auf diese Zusammenhänge mal hinweisen. Es wird immer wie selbstverständlich angenommen, der Helm würde schon helfen.
Zivilisation bedeutet auch, dass der Mensch dazulernt: Vor 60 Jahren war die übliche Kopfbedeckung bei Motorradfahrern eine Art Mützchen aus Stoff oder Leder. Windschutz und sonst fast nichts.
Zivilisation bedeutet leider auch oft "Rückschritt". Das muss ich wohl nicht weiter auswälzen. Ich halte es eher für wichtig, dass man sich zurückbesinnt auf "archaische Elemente" im Leben. U.a. Fortbewegung ohne von der Natur und ihren Einwirkungen abriegelnde technische Hilfsmittel. Für mich gehört zu Lebensqualität auch, dass man Risiken und Eigenverantwortung zulässt.